Übersicht
Tagung
der Selbsthilfegruppe Asbestose am 16.11.2004 in Bremerhaven.
Mit
dem Thema Berufliche Asbesterkrankungen, also, worum es
sich bei den Asbesterkrankungen handelt und wann diese
entschädigt werden, stieß der Fachanwalt für
Sozialrecht aus Düsseldorf, Rechtsanwalt Rolf Battenstein,
auf ein sehr starkes Interesse der Teilnehmer, bei denen
es sich im wesentlichen um beruflich asbesterkankte Betroffene
handelte.
Die
Teilnehmer interessierte, warum trotz Feststellung einer
Pleuraasbestose dem Grunde nach die Berufsgenossenschaft
normalerweise keine Verletztenrente zahlt.
Es
wurde festgestellt, daß für die Betroffenen,
die an einer Pleura- oder Lungenasbestose dem Grunde nach
erkrankten, schlagartig auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt
alle Erwerbsmöglichkeiten entfallen, die mit einer
Belastung der Atemwege einhergehen.
Danach
nun hätte sich die Höhe der Verletztenrente
zu richten, wenn man den Erwerbsschaden des Betroffenen
nach dem Gesetz ermitteln würde.
Zunächst
ist also festzuhalten, daß es nicht auf einen konkreten
Verdienstausfall bei der Asbestoserente ankommt, sondern
auf einen sogenannten abstrakten Erwerbsschaden, der durch
einen Vergleich der Erwerbsmöglichkeiten ermittelt
wird, die vor dem Auftreten der Asbestose bestanden und
die danach verblieben sind.
Warum
nun die Rechtsprechung die Berufsgenossenschaften von
dieser sogenannten abstrakten Schadensberechnung befreit
hat, in dem Sinne, daß dieser Vergleich ausgerechnet
in den schlimmen Fällen der Asbestose nicht stattzufinden
hat, liegt in dem Hinweis der Rechtsprechung, das Entfallen
der atemwegsbelastenden Erwerbsmöglichkeiten würde
bei beginnender Asbestose aus präventiven Gründen
erfolgen, nicht aus Gründen der Funktionsbeeinträchtigung
durch die Asbestose.
Die
Teilnehmer konnten nicht erkennen, daß deshalb der
durch die entstandene Asbestose erlittene Erwerbsschaden,
wie bezeichnet, hinfällig werden könnte.
Jährlich
betrifft es in Deutschland mehr als 1.000 Fälle neu
hinzukommender Asbestosen, bei denen die Betroffenen eine
Asbestose dem Grunde nach zuerkannt bekommen, allerdings
in Ansehung des offenkundigen Erwerbsschadens dann leer
ausgehen.
Eine
angeregte Diskussion löste der Hinweis des vortragenden
Fachanwaltes aus, daß eine Asbestose ab einem Rentensatz
von 50 % gewissermaßen wie eine Lebensversicherung
wirkt.
Denn
in diesem Fall gilt die gesetzliche Vermutung, daß
der Tod Berufskrankheitsfolge ist, in den Fällen
der Asbestose, in den Fällen der asbestbedingten
Lungenkrebserkrankung und der asbestbedingten Kehlkopfkrebserkrankung.
Ein
Teilnehmer, der an einer Asbestose mit 30 % Rentensatz
leidet, wollte hierzu Näheres wissen, warum es wichtig
sei, daß der Rentensatz die Höhe von 50 % erreicht.
Diese
Rechtsfolge ergibt sich aus dem Sozialgesetzbuch, wo es
heißt, daß dem Tod durch Arbeitsunfall oder
Berufskrankheit der Tod von Erkrankten gleich steht, und
zwar hier im Sinne der Asbestose und des Asbestlungen-
und des Asbestkehlkopfkrebs, deren Erwerbsfähigkeit
um 50 % oder mehr gemindert war.
Die
Lebensversicherung wie erörtert, ergibt sich also
aus der Tatsache dieser gesetzlichen Vermutung, die nur
bei Offenkundigkeit eines anderen Verlaufs widerlegt ist.
Der
Fachanwalt warnte vor Fallgestaltungen, in welchen die
Berufsgenossenschaft den gebotenen Hinweis auf diese gesetzliche
Vermutung unterläßt, wenn etwa die Ärzte
der Klinik eine Obduktion anempfehlen.
Es
treten immer wieder Fälle auf, in welchen die Witwen
durch eine gewissermaßen erschlichene Obduktion
des Erkrankten um ihre Hinterbliebenenansprüche,
insbesondere die Witwenrente gebracht werden.
Hätte
die Berufsgenossenschaft den bereits nach § 14 Sozialgesetzbuch
I erforderliche Hinweis auf die gesetzliche Vermutung
gegeben, wäre es nicht zum Einverständnis der
Witwe mit der Obduktion gekommen, welche die Ärzte
empfohlen hatten.
Gegenwärtig
fühlen sich die Berufsgenossenschaften von dieser
Hinweispflicht befreit, obwohl im Rahmen der Schwerverletztenbetreuung
durch die Berufsgenossenschaft bereits der noch lebende
Versicherte auf diese gesetzliche Vermutung hingewiesen
werden muß und erst recht später die Witwe,
wenn es darum geht, ob nun eine Obduktion veranlaßt
wird oder nicht.
Daß
im schlimmsten der Asbestkrebsfälle, nämlich
im Fall des Mesothelioms des Rippenfells, des Bauchfells
oder des Herzbeutels die genannte gesetzliche Vermutung
gerade nicht gelten soll, kraft Unterlassung ergänzender
Gesetzgebung, die überfällig ist, stieß
auf das völlige Unverständnis der Teilnehmer.
Hier
muß allerdings dann deutlich unterschieden werden,
daß eine Pleuraasbestose noch kein Pleurakrebs ist
im Regelfall.
Ein
Teilnehmer, der an Asbestlungenkrebs litt und von der
Berufsgenossenschaft deshalb 100 % Verletztenrente erhält,
nahm den Hinweis auf die Umstände der sogenannten
Lebensversicherung gerne auf.
Aber
auch hier ist in Zukunft damit zu rechnen, daß die
Berufsgenossenschaft wegen angeblicher Heilungsbewährung
die Verletztenrente herabzusetzen versucht.
Der
Erwerbsschaden bessert sich nicht etwa dadurch, daß
ein operierter Lungenkrebs nun einige Jahre rezidivfrei
geblieben ist.
Deshalb
besteht ein besonderer Betreuungsbedarf der Betroffenen,
wie der Fachanwalt aus Düsseldorf hervorhob.
Haben
nun die Ehefrauen die asbestverschmutzte Arbeitskleidung
ihrer Männer jahrelang gereinigt, so können
diese 30 Jahre später auch an einem Asbestkrebs,
dem sogenannten Pleuramesotheliom etwa erkranken.
Genauso
verhält es sich mit den Pleuramesotheliomfällen,
die Kinder erleiden, wenn sie den Vater 30 Jahre zuvor
etwa als 12-jährige am Arbeitsplatz besuchten, ihm
zu essen brachten, ihm bei der Arbeit behilflich waren.
Der
Fachanwalt aus Düsseldorf wies darauf hin, daß
man einen Arbeitsunfall oder auch eine Berufskrankheit
wie ein Versicherter erleiden kann, z.B. als Passant,
der beim Errichten eines Baugerüstes durch ein Baufirma
eine helfende Handreichung leistet, auf Bitten des Poliers
etwa, und dabei zu Schaden kommt.
Dies
gilt z.B. auch für ein Kind, das in der Landwirtschaft
auf dem Feld mithilft, und zwar bei der Ernte.
Warum
nun ausgerechnet jahrzehntelange Handreichungen der Ehefrau
bei der täglichen Reinigung von asbestverschmutzter
Arbeitskleidung ihres Mannes keine Tätigkeit "wie
ein Versicherter" ausmachen soll und warum die Berufsgenossenschaft
von der Anwendung der entsprechenden gesetzlichen Vorschrift
in den schlimmst denkbaren Fällen befreit sein soll,
hat die Sozialgerichtsbarkeit bisher nicht überzeugend
geklärt.
Daß
die Reinigung von asbestkontaminierter Arbeitskleidung,
die der Ehemann vor Jahrzehnten täglich mit nach
Hause brachte, ausschließlich die Privatangelegenheit
der Ehefrau gewesen sein soll, kann die Berufsgenossenschaft
nicht glaubhaft oder ernstlich behaupten.
Die
Teilnehmer konnten sehr wohl beurteilen, woher die Asbesteinwirkung
kam, nämlich von den Mitgliedsunternehmen der Berufsgenossenschaft.
Da
in diesen Fällen noch viele dringende Fragen offen
bleiben, waren sich die Teilnehmer und der Vortragende
bewußt, daß es weiterer Tagungen dieser Art
bedarf, um den Rechtsuchenden zur Seite zu stehen.
So
konnte nicht zu Ende diskutiert werden, was es mit dem
Faktor 100 auf sich hat, bei der Errechnung von 25 Asbestfaserjahren,
wenn zwar ein Lungenkrebs und eine Asbestexposition festgestellt
worden sind, aber keine zusätzliche Staublunge im
Sinne der Asbestose.
Der
Fachanwalt aus Düsseldorf wies die Teilnehmer darauf
hin, daß die Berufsgenossenschaft nur die Fasern
bei der Asbestfaserjahrzählung berücksichtigt,
die länger als 5 Mikrometer sind.
Die
Fasern allerdings, die man im Lungenstaub findet, weisen
im Mittel eine kürzere Länge aus.
Wenn
also ein Betroffener, der an Lungenkrebs leidet und zuvor
mit Asbest beruflich in Berührung gekommen war, die
sogenannten 25 Asbestfaserjahre nachweisen muß,
wird er zu seinem Erstaunen feststellen müssen, daß
die Berufsgenossenschaft nur den hundertsten Teil der
anfallenden Asbestfasern zählt, nämlich nur
die Fasern, die länger als 5 Mikrometer sind.
Würde
die Berufsgenossenschaft alle Fasern bei der Faserjahrrechnung
einbeziehen, wären es dann statt eines Asbestfaserjahres
hundert Asbestfaserjahre, eben auf Grund dieses Faktors
100, der die Wirklichkeit widerspiegelt.
Der
Verein Leben mit Krebs als Veranstalter dankte dem Vortragenden
die Anreise und den Vortrag mit Diskussion durch eine
Gabe geräucherten Fisches, einer Spezialität
aus Bremerhaven, die begeistert entgegengenommen wurde.**
** Die
obigen rechtlichen Ausführungen stellen naturgemäß
keine Rechtsberatung dar, sondern sollen lediglich als
erste Information und Orientierung dienen. Dabei ist zu
beachten, dass sich die Rechtslage auch jederzeit ändern
kann und die obigen Ausführungen insofern nicht in
jedem denkbaren Fall die jeweils aktuellste Rechtslage
darstellen können.
|